Beim Mannheimer Festival „Wunder der Prärie“ setzen viele Produktionen auf Publikumsbeteiligung
Diesmal sind die Plakate neongrün, und man setzt auf die Beteiligung der Besucher. Das Mannheimer Performance-Festival „Wunder der Prärie“ zeigt im September insgesamt neun Produktionen, von denen die meisten nur funktionieren, wenn sich Menschen finden, die mitmachen. Die müssen zum Beispiel mit einer per Joystick gesteuerten Paintball-Präzisionswaffe auf Darsteller auf der Bühne schießen.
Julian Hetzel hat sich die Performance „The Automated Sniper“ ausgedacht. Der in den Niederlanden lebende deutsche Künstler war schon öfter in Mannheim zu Gast, beim Festival „Theater der Welt“ hat er etwa beim Projekt X-Firmen mitgewirkt. Sein „Automated Sniper“ hatte im Frühjahr in Amsterdam Premiere. Wie in einem Computerspiel können die Mitspieler hier mit einer speziell konstruierten Waffe Farbbeutel abfeuern. Hetzel möchte damit auf die heutige „asymmetrische Kriegsführung“ aufmerksam machen, bei der aus großer Distanz mittels Raketen oder Drohnen getötet wird.
Die Mehrzahl der Veranstaltungen findet in den Räumen des soziokulturellen Zentrums Zeitraumexit statt, welches das Festival wieder veranstaltet. „Erstaunlich, dass das zehnmal geklappt hat“, findet Jan-Philipp Possmann, der die Leitung der freien Kultureinrichtung vom bisherigen Führungsteam mit Gabriele Oßwald, Wolfgang Sautermeister und Tilo Schwarz zu Beginn des Jahres übernommen hat und wie seine Vorgängermit Etatproblemen kämpft.
Es habe immer eine große Nähe zwischen Publikum und Kunst bei diesem Festival gegeben, so Possmann, nun sollen die Zuschauer „noch mehr Verantwortung übernehmen“. Die Aufführung soll zur „sozialen Übung“ werden, im griffigeren englischen Festivaltitel: „Social Body Building“. Nach dem Festival will Possmann die Programmhoheit sogar komplett ans Publikum beziehungsweise an Anwohner oder sonstige Interessenten abgeben. Per Präsentation und Abstimmung soll dann entschieden werden, für welches Projekt das Zentrum jeweils vier Wochen lang genutzt wird. Das muss nicht unbedingt Kunst sein. Ein halbes Jahr soll die Aktion insgesamt dauern, während des Festivals werden, ebenfalls basisdemokratisch, die Regeln aufgestellt, nach denen das abgewickelt wird. Ein gewagtes Experiment mit offenem Ausgang.
Zuvor kommt aber erst einmal das noch konventionell kuratierte Festivalprogramm, dessen Produktionen auf die Politisierung der krisengeschüttelten Gesellschaft mit neuen ästhetischen Lösungen reagieren, so Possmann. Eingeladen ist David Weber-Krebs und seine Performance „The Guardians of Sleep“, bei der die Zuschauer zu Beschützern der schlafenden Performer werden. In seiner Installation „Dance in the Volcano“ verarbeitet Rodrigo N. Albornoz Erfahrungen der Flüchtlingskrise in Form einer Disco mit ganz besonderen Regeln. Noch stärker auf sich gestellt sind die Besucher bei „The Thing“ von Ant Hampton und Christoph Meierhans, einem viertägigen Workshop, der ohne Leiter auskommt und sich als „Übung im Überschreiten sozialer Grenzen“ versteht.
In der Multihalle im Herzogenriedpark, eine der drei Spielorte außerhalb von Zeitraumexit, kann man die Videoperformance „Superquadra“ der Künstlergruppe F.Wiesel erleben, in der es um eine ideale Stadt und den individuellen Widerstand gegen städtebauliche Bevormundung geht. Auf dem Alten Messplatz wird das „European House of Gambling“ von Tanja Krone eröffnet, ein Spielcasino, bei dem auch Verlierer nicht leer ausgehen. Auch bei „Tonight, lights out!“ von David Weber-Krebs sind die Zuschauer Akteure, die sich einigen müssen, 70 Glühlampen gleichzeitig auszuschalten. Bei Performances von Anna Mendelssohn und Andreas Liebmann darf das Publikum ausnahmsweise nur zuschauen.
Welche Rolle Kultureinrichtungen überhaupt noch spielen können im aktuellen politischen Prozess, wird bei einem Kongress diskutiert, zu dem Vertreter entsprechender Einrichtungen in Athen, Budapest, Belgrad und Zagreb eingeladen sind.
von Dietrich Wappler