Spezialisten für das Anderssein

Mannheimer Morgen
21.09.2015

Wunder der Prärie I: Das Mannheimer Performance-Festival geht bisweilen spielerisch mit dem doch ernsten Thema "fremd" um

Einen roten Teppich ausrollen kann jeder. Aber dieser hier ist pink, und pink gehalten sind auch die Veranstaltungsplakate und Gesprächstische, ja selbst die Halsbänder und Rucksäcke der vielen Mitarbeiter dieses Festivals. Die "Wunder der Prärie" waren halt immer schon die etwas buntere Veranstaltung. Die (Nicht-) Idylle eines Hinterhofs in den Quadraten kann so etwas durchaus brauchen: In S 4 beginnt in diesem Jahr das Mannheimer Performance-Festival, in den einst von der Stadtgalerie genutzten Räumen. Jetzt wird dort ein "Training" angeboten, eine "Spielstätte für inklusiven Humanismus" ausgebreitet, wie die Rauminstallation des Künstlerduos hoelb/hoeb heißt. Das Anderssein soll hier ein Forum finden, in der Mitte der Gesellschaft sozusagen.

Viel Expertenwissen steht bereit, etwa zum Thema Wachkoma und Alzheimer. Sogar die neuen "Städtischen Beauftragten für die Chancengleichheit von Menschen vielfältiger sexueller und geschlechtlicher Identitäten", wie es mit kaum überbietbarer Korrektheit heißt, warten auf Fragen. Für fiktive Umsteiger eröffnet sich in einem "Seminar" die Möglichkeit, Geschlecht, Partei oder auch Religion zu wechseln. An den Wänden hängen Kunstwerke, ob man die Luftglocke aus einer Wachkomastation dazuzählt, ist eine zwar mittlerweile alte, aber immer wieder Kopfschmerzen verursachende Frage: Wo genau verläuft die Grenze zwischen einem Alltagsgegenstand und hehrer Kunst? Auch ein OP-Bett schwebt im Raum, und über allem schwebt auch irgendwie der Geist von Übervater Joseph Beuys.

Man ist zunächst verwirrt, mitunter auch ein wenig überfordert. Doch man kann ja über alles reden, und das ist sogar der Zweck der Übung: "Kommunikationsräume zu generieren", wie hoelb/hoeb es ausdrücken. Es handelt sich mithin um Kunst, die das Gespräch sucht - über "Inklusion" als der Beschäftigung mit dem, was anders als die Norm ist. Klingt zunächst ein bisschen theoretisch, kirchentagsrhetorisch, wird aber verdammt konkret, wenn in der Saalmitte die Blindentorballspieler loslegen. Mit extrabreiten Toren und mit einem Ball, in den ein Glöckchen implantiert ist. Österreich spielt gegen Deutschland. Zu "normalen" Spielen komme oft kein Mensch, beklagt der Wiener Trainer Erich Geyer, nicht einmal die Spielereltern. Und allein, dass das hier anders ist, ist ein Erfolg. "Soziale Kunst" gibt es tatsächlich.

Einladung, das Verbotene zu tun
"Fremd" heißt ja in diesem Jahr das durch die Flüchtlingsfrage doppelt aktuelle Mottowort der "Wunder der Prärie". Aber man kann damit auch spielerisch verfahren, wie sich in den Zeitraumexit-Räumen in der Hafenstraße zeigt, in "Zakopane", einer Rauminstallation zum Mitmachen nach dem Science-Fiction-Klassiker "Solaris". Man denkt an das Buch Stanislaw Lems - und an den Film Andrej Tarkowskis, unterlegt mit der Bearbeitung zu einem Bach-Choralvorspiel: gefangen nehmende existenzielle Schwere. Doch F. Wiesel (Synonym des jungen Künstlerduos Jost von Harleßem und Hanke Wilsmann) machen daraus etwas eher Heiteres und Leichtes. Dabei simulieren sie den Gang durch eine Raumstation, das Eintreten in eine fremde, erdferne Bewusstseinssphäre. "Bitte widersetzen Sie sich nicht dem Personal", wird dem Besucher anempfohlen. Aber diese Worte spricht, wenn auch in einen Raumanzug gehüllt, ein Krümelmonster, das gut in die "Muppet Show" oder die "Sesamstraße" passen würde.

Und es gibt die indirekte Einladung, am falschen Knopf zu drehen und das halb Verbotene zu tun. Dann fallen batteriebetriebene, insektengleiche Krabbelwesen aus der Wand, die so bedrohlich sind wie Zahnbürsten (und auch so aussehen). Man muss die Dinger freilich wieder einsammeln, sonst geht die nächste Tür nicht auf. Aber das war ja schon in Kindertagen so: Du sollst dein Spielzimmer am Ende sauber aufräumen.

Sehr kontrolliert wirkt anfangs auch die Tanzperformance von Fernando Belfiore. Laserschwert und afrikanische Folklore schließen sich dabei nicht aus, im Gegenteil, sie treffen sich im rituellen Habitus. Der Tänzer steigert seinen Energieausstoß indessen mit enormer physischer Präsenz in fast schamanenhafte Dimensionen. Neue Körperwelten tun sich auf, werden entfesselt. Doch Belfiore wahrt stets eine raubtierartige Geschmeidigkeit.

Hans-Günter Fischer