Das Mannheimer Festival "Wunder der Prärie" mit einer apokalyptischen Performance und einer abendländischen Tanzgaudi
Auf dem Abenteuerspielplatz der Performancekunst tummelt sich das Festival „Wunder der Prärie“. Alle zwei Jahre bringt es die Avantgarde nach Mannheim, Tänzer, Schauspieler, Performer, Installationskünstler, auch Video und Musik sind dabei. Thematisch ist da alles möglich, bei Claudia Bosse und ihrem Theatercombinat geht es gleich um die Menschheitsgeschichte, bei dem Tänzer und Choreografen Simon Mayer um abendländische Folklore.
Nette Wohngegend. Hauptstraße mit Straßenbahn, verkehrsberuhigt. Trendige Eismanufraktur mit Geschmackssorte Kürbiskernöl, nostalgischer Fahrradladen, viele Apotheken, ein Bestattungsunternehmen. Alles da. Die Videothek hat zugemacht, da ist vorübergehend die Kunst eingezogen. Es geht um das Paradies und warum daraus nichts Dauerhaftes geworden ist, ganz vereinfacht ausgedrückt.
Die „Wunder der Prärie“ haben diesmal den Stadtteil Lindenhof entdeckt. Die Choreografin Claudia Bosse und ihre Mitstreiter zeigen in leeren Ladenräumen ihre Arbeit „catastrophic paradise“. Der knapp zweistündige Abend bietet eine Verschränkung von Rauminstallation, Tanzperformance und Sprachritual. Alles zusammen eher verstörend als verständlich.
Dabei geht es ganz einleuchtend los. Zwischen Videoprojektionen von kopulierenden, fressenden, sterbenden Tieren, Menschengesichtern in Superslowmotion, Textfragmenten und seltsamen Kunstobjekten rezitiert die 80-jährige Darstellerin Ilse Urbanik aus der biblischen Schöpfungsgeschichte. Am Anfang also das Wort, dann Adam, Eva, Schlange, die ganze Geschichte bis zur Vertreibung aus dem Paradies, das vielleicht eher ein autoritärer Überwachungsstaat war. Die Darstellerin ist sehr klein und sehr nackt, eine Eva im Greisenalter, die einen stummen jungen Adam an der Hand durch den Raum leitet.
So einfach und anschaulich bleibt es aber nicht. Vier Tänzer tauchen unter Textilhügeln auf, sprechen Texte von Montaigne, einer schizophrenen Frau und einem durchgeknallten Warlord. Auf Deutsch und englisch geht es um religiösen Wahn, menschliche Perversion, Kannibalismus und Folter quer durch die Jahrhunderte. Die Performer ringen nach Luft, kriechen auf dem Boden, rennen gegen Wände, entblößen und verhüllen sich wieder. Dazu ein elektronischer Soundteppich von Günther Auer.
Dass mit der Schöpfung etwas ziemlich schief gelaufen ist, hat man irgendwann kapiert, der weitere Erkenntniswert bleibt überschaubar. Viel Gedankenarbeit steht hinter dem Projekt, sichtbar wird davon wenig, auch die Bewegungsrituale der Performer bleiben abstrakt, zeichenhaft, beliebig. Am Ende allgemeines Händchenhalten und ein hoffentlich ironisch gemeintes Erweckungsglück.
Der Österreicher Simon Mayer ist zum zweiten Mal beim Festival dabei, als Deutschlandpremiere zeigt er diesmal „Sons of Sissy“, eine körperdampfige Aneignung von Volksmusik und Volkstanz. Der einstündige Tanzabend ist eine Art Brauchtumszertrümmerung. Mayer und seine drei Kollegen machen erst mal ganz brav Stubenmusik, mit Geigen, Kontrabass, Knopfharmonika und Wummata. Auch herzerweichend singen kann das schrullige Quartett. Dann wird getanzt, gestampft, geschuhplattelt, das Röckchen gedreht; zwei übernehmen die männliche Führungsrolle, die beiden anderen lassen sich weiblich-willig herumwirbeln.
Die Musik ist erst ins Atonale zerfallen, dann ganz verstummt, und auch die an alpenländische Tracht erinnernden Klamotten sind irgendwann in die Ecke geflogen. Aus Volkstanz wird ein keuchendes Paarungsritual, ein bierernster Wettkampf mit endlosen Drehungen und Wiederholungen, welche die vier schweißnassen Körper bis zur Erschöpfung erdulden. Ein autoritäres Reglement scheint über allem zu herrschen, mit Goaßlschnalzen und Harmonikaostinato teiben sich die Tänzer an, drehen verzweifelte Runden oder sinken sich zärtlich in die Arme.
Am Ende gibt’s noch einmal versöhnliche Volksmusik, jetzt von nackten, atemlosen Musikern gespielt. Aber da ist den treuherzigen Heimatklängen längst alle Harmlosigkeit ausgetrieben. Sissis Söhne bieten tollen Tanz, böse Gaudi und eine Lehrstunde zur Genderdebatte.
Dietrich Wappler