"Die Themen berühren unsere Leben"

Mannheimer Morgen
18.09.2015

Das Interview: Wunder der Prärie-Leiterin Gabriele Oßwald über das Festival, das Motto "Fremd" und die Rolle der Performance

Der rote Teppich des Festivals Wunder der Prärie führe nicht mehr in ein Festivalzentrum, sondern zu unterschiedlichen Spielstätten, kündigt Leiterin Gabriele Oßwald an. Wenn heute Abend in der ehemaligen Stadtgalerie Mannheim (S 4) also zusätzlich zum bereits laufenden Fotofestival ein zweites wichtiges und ausgezeichnetes Festival beginnt, dann wird der Puls der Festivalregion einmal mehr höher schlagen - und an mehr Plätzen. Denn "Fremd" heißt das Motto bei Wunder der Prärie, und wie das Fotofestival geht es dabei auch um die Fremdheit an Orten - ein Gespräch mit Gabriele Oßwald.

Frau Oßwald, "fremd zu sein bedarf es wenig" zitieren Sie zur Einführung des Festivals Wunder der Prärie abgewandelt ein altes Lied. Zurzeit könnte man entgegnen: Es bedarf immerhin der Flucht etwa aus Syrien. Ist die jetzt so aktuelle Flüchtlingsthematik eher ein Fluch oder ein Segen für das Festival?

Gabriele Oßwald: Die Begriffe Fluch und Segen empfinde ich gerade als zu hoch gegriffen. Ein Fluch ist es sicher für Menschen, wenn sie ihre Heimat verlassen müssen. Uns zeigt die gegenwärtige politische Lage, dass wir mit dem Thema genau richtig liegen. "Fremd", "Das Fremde" oder auch "fremd sein" ist für unser Leben hochaktuell. Selbstverständlich diskutieren wir im Festival auch über die europäische Flüchtlingspolitik, mit einem Vertreter der Wiener Refugee-Initiative Mohammed Numan und der Wiener Politikwissenschaftlerin Monika Mokre. Aber es ist mir wichtig zu betonen, dass wir das "Fremde" sehr viel weiter fassen. Überall begegnet es uns, ganz und gar unabhängig von Migrantinnen und Flüchtlingen.

Deswegen spielen Sie ja auch an vielen für Wunder der Prärie fremden Orten. Bringt das nicht Unübersichtlichkeit in ein ohnehin schwer zu fassendes Festival?

Oßwald: Es ist sicher ein ungewohntes Format, ein Festival an mehreren Orten. Aber es ist ja über-schaubar, Jungbusch, Lindenhof, S 4,17 und Alte Feuerwache. Und an jedem Ort werden unterschiedliche Aspekte des Fremd-Seins behandelt.

Die überwiegende Kunstform ist ja bei Ihnen immer die Performance - oft gekoppelt mit der Installation. Wie geht es diesem Genre?

Oßwald: Sehr gut. Es ist ein sehr aktuelles Format, das eine große Weite besitzt, um viele Aspekte und Künste zu vereinen. Wobei wir auch sehr theatrale, tänzerische Beiträge haben wie zum Beispiel "Catastrophic paradise" in der Meerfeldstraße. Aber ein Mix ist es immer. Wobei, wir nennen Wunder der Prärie ja dieses Mal ein Festival für Performancekunst und Vernetzung.

Was ist der Vorteil gegenüber den diskursiven Formaten wie etwa Schauspiel, das ja sehr viel konkreter ausdrücken kann, was es will . . .

Oßwald: Ich denke, diskursiv kann Schauspiel oder Performance sein, muss es aber nicht; der Diskurs findet im Festival statt bei "training", der Spielstätte für inklusiven Humanismus um das Thema "Anderssein", oder auch in den angebotenen Vorträgen, in den täglichen Tischgesprächen auf der Straße um Themen von allgemeiner Bedeutung, aber auch zum Beispiel in einem Stück wie "Catastrophic paradise" oder "Zaster & Zombies" von Otmar Wagner. Dort, wo der Körper, seine Bewegungen oder auch die Musik im Zentrum stehen, läuft das "Gespräch" zwischen Publikum und Künstler anders ab.

Wie entgegnen Sie dem Vorwurf, bei Wunder der Prärie handle es sich um ein elitäres Festival, das bei vielen Schwellenängste hervorruft, letztlich ähnlich wie die klassischen Hochkulturveranstaltungen?

Oßwald: Aktuelle Kunst muss nicht elitär sein. Es ist vielleicht auch da eher das Fremde. Es ruft Schwellenängste hervor, wenn ich nicht weiß, was auf mich zukommt. Da sind wir schon beim Thema. Wir gehen deshalb raus, sprechen an einem offenen, pinken Tisch beim Vesper mit jedem, der mit uns sprechen will.

Wie geht das konkret?

Oßwald: Wir laden etwa zu "training" nach S  4 ein, um mit Menschen der Alzheimer-Gesellschaft, von Hospizen aber auch mit Musikern und Forschern zu reden. Der Rahmen ist ein künstlerischer, Kunst ist zu sehen, aber im Zentrum steht die Begegnung, das Gespräch. Das wollen wir rüberzubringen. Viele Mannheimer Initiativen sind eingeladen. Und die Themen der Vorträge und Tischge-spräche berühren unser aller Leben: Flüchtlingspolitik, Identität, Paradies, Inklusion, Verhältnis Mensch-Tier, Brauchtum und Tradition. Ganz allgemein rufe ich zu Neugier auf!

Mit wie vielen Gästen, Zaungästen und Teilnehmern rechnen und wie zählen Sie?

Oßwald: Ich mag die neugierigen Zaungäste, die Passanten und die, die mal reinschauen. Und sonst, manche Vorstellungen sind jetzt schon ausverkauft.

Lässt sich eigentlich nicht vermeiden, dass in dieser großen Region zwei Festivals gleichzeitig laufen?

Oßwald: Das ist tatsächlich nicht so gut. Zumal wir dieses Jahr noch wegen anderer Termine in der Region mit unseren Eröffnungen sehr zusammengerutscht sind. Andererseits gibt es, glaube ich, nicht allzu viel Überschneidungen im Publikum. Und die Ausstellungen im Fotofestival kann man auch noch nach dem Wunder anschauen.

Zum Schluss: Wie geht es Zeitraumexit und dem Festival finanziell, nachdem vor Jahren alles auf der Kippe stand und Sie dann deutschlandweit für Aufsehen sorgten . . .

Oßwald: Das Festival ist unterfinanziert und Zeitraumexit ist es auch. Wir bieten ein international beachtetes Programm, erhalten Preise und haben immer noch keine existenzsichernde öffentliche Förderung. Die Kippe ist noch nicht vom Tisch.

Stefan M. Dettlinger

Oßwald und das „Wunder“
Gabriele Oßwald: Sie stammt aus Singen, wo sie 1952 geboren ist.
Sie ist Zeichnerin, Performance-Künstlerin und Kuratorin.

Zeitraumexit: Im Mai 2000 eröffnet das Künstlerkollektiv Gabriele Oßwald, Wolfgang Sautermeister, Elke Schmidt und Tilo Schwarz Zeitraumexit. Schwerpunkt der künstlerischen Arbeit sind experimentelle Schnittstellen zwischen Schauspiel, Performance, Tanz, Video, Foto, Installation und Interaktivem.

Wunder der Prärie: Das Internationale Festival für Performancekunst & Vernetzung läuft von heute (19 Uhr, Stadtgalerie S4) bis 26.09. mit über 40 Veranstaltungen.