Die Flüchtigkeit des Tanzes

Die Rheinpfalz
29.09.2015

Das Mannheimer Festival "Wunder der Prärie" endet mit einem langen Abend solistischer Performances

Bei „Wunder der Prärie“ kommen alle Künste zu Wort, wenn sie sich nur so bunt wie möglich miteinander vermischen. Da gibt es neuartige Ausdrucksweisen und Formate, die bisweilen Eintagsfliegen, sehr oft unendliche Versuche ästhetischen Ringens und manchmal zukunftsweisende Bereicherung sind. Als eine solche hat sich die Tanzperformance etabliert. Mit einem langen Abend der Tanzsolos ist das Festival im Mannheimer Künstlerhaus Zeitraumexit zu Ende gegangen.

Die Tanzperformance ist tatsächlich hochprofessionell, bezieht andere Künste mit ein, vornehmlich die bildenden, geht musikalisch eigene Wege. In der Regel hat sie eine sozikulturelle Wirkungsabsicht, was sie vom reinen Tanzstück weg und in die Kategorie Performancekunst rückt, da diese sich als Ganzes kulturpolitisch definiert.

„Was bleibt?“ von der österreichischen Tänzerin und Choreografin Milli Bitterli ist nur durch das dahinterstehende Konzept voll zu verstehen: und dieses bedarf einer verbalen Vermittlung. In einem Video (von Jack Hauser) sieht man die Tänzerin in einem Hospiz zwischen Pflegepersonal und Patienten tanzen. Sie trägt blaue Jeans und einen gelben Pulli. Der gelbe Klinikboden gibt der Atmosphäre etwas Sonniges. Es kommt zu vielen zwischenmenschlichen Interaktionen, aber auch zu Momenten der Einsamkeit.
Gleichzeitig tanzt Milli Bitterli live im gleichen Outfit auf einem gelben Läufer vor der Videoprojektion. Man meint zu erkennen, dass sie sich ästhetisch und emotional mit der Hospizsituation auseinandersetzt. Was bleibt ist schließlich auch die Frage am Lebensende. Das Konzept ist aber ein anderes. Milli Bitterli tanzt die gleiche Choreografie an unterschiedlichen mehr oder weniger öffentlichen Orten. Sie stellt die Frage nach der Flüchtigkeit des Tanzes und nach dem, was diese im Augenblick bewirken kann.

„Fremd“ lautete das diesjährige Festivalthema. Exotisch fremdartig war das Solo „Angela Loij“ des aus Chile stammenden Juan Gabriel Harcha in einer Koproduktion mit den Sophiensaelen in Berlin. Angela Loij war die Letzte der Selk’nam Indianer auf Feuerland.
Der Tänzer trägt nichts mehr als eine schwarze Gitterbemalung auf der geweißten nackten Haut. In lautloser Stille macht er Sprünge und Läufe, in denen manchmal Elemente des klassischen Balletts aufscheinen. Die Bewegungen wirken willig und bemüht; dazwischen setzt er sich immer wieder nieder und schaut das Publikum an mit einem Blick, der in seiner naiv bohrenden Neugier unter die Haut geht. Dann schnallt er sich einen Reptilienschwanz an und sieht in seinen geschmeidigen Bewegungen nun ganz wie ein fremdartiges Tier aus. Man denkt an die Menschenschauen, die vor hundert Jahren in zoologischen Gärten der große Hit waren. Und man denkt betroffen: Wie gehen Menschen mit anderen ihresgleichen um!

Die Tänzerin Glòria Ros stammt aus Spanien, die Choreografin Emilie Birraux aus Frankreich. In Amsterdam haben sie zusammen das Tanzsolo „Joy“ gemacht. Um Freude geht es darin offenbar nicht, auch wenn Glòria Ros zu Anfang in wilder Energie zu Beethovens Neunter über die Bühne wirbelt. Sie trägt ein weißes Hemd über einer schwarzen Hose. Ihre sportlich kraftvollen Läufe unterbricht sie wiederholt, um nachzudenken. Sie nippt an einem Glas Milch. Eine sanfte Musik von Jack DeJohnette setzt ein. Die Tänzerin geht nur noch hin und her. Sie greift sich ans Herz. Sie greift sich an die Schläfen, als zöge sie etwas aus ihrem Kopf heraus. Es wird noch stiller und dunkel. Nur ein kleiner Spot leuchtet. Wenn es wieder hell wird, sieht man aus einem Kanonenrohr erst weißen Nebel dampfen, dann weiße Flüssigkeit rinnen – auf eine schwarze Hose, ein weißes Hemd, ein Glas Milch. Die Frau ist nicht mehr da.

Zum Festivalprogramm gehört immer ein soziopolitischer Diskurs und zu diesem ein performativer Vortrag. Das Format gehört zu den unendlichen Versuchen ästhetischen Ringens, die, anders als die Tanzperformance, noch keine übergreifende Strahlkraft entwickelt haben. Vor ein paar Jahren nannte man es „Lecture“, Otmar Wagner aus Wien wählt den Begriff „Essay-Performance“. Der literarische Aspekt steht auch bei ihm im Vordergrund. Um seine Gedanken ans Publikum zu bringen sind ihm alle theatralen Mittel recht. Die Projektionen sind visuell gelungen, die sprachlichen Haken und Bonmots oft superb. Die musikalische Seite ist eher unterentwickelt und mit Bierflaschen-Entertainment ausgesprochen banal. Auch die darstellerischen Einfälle reißen nicht vom Stuhl. Zwischen fesselnden Passagen entsteht immer wieder Leerlauf, aber alles ist lustig.
Das Thema „fremd“, unter das sich ohnehin fast alles und jedes subsummieren lässt, bleibt dabei häufig auf der Strecke. Wagners sprunghafte Assoziationen ersetzen Logik durch Emotion und Spaß: Selbstbild, Geld, Gier, Gott, Kapitalismus, das Bombenattentat auf dem Oktoberfest vor 35 Jahren, Asylanten, Neonazis und so weiter. Was fehlt, ist satirischer Biss.

Heike Marx