Wunder der Prärie: Melanie Mohren und Bernhard Herbordt klappen die große Bühne im Kopf auf
„Das Stück existiert nur in der Vorstellung. Zum Beispiel in Ihrer.“ Die Stimme aus dem Kopfhörer versichert sanft, dass es hier nur um mich geht. Den Zuschauer. Den Teilnehmer. Den Beobachter. Dabei gibt es keine Regeln, vielleicht kleine Hinweise und Aufforderungen, die aber immer nur als mögliche Spielart verstanden werden sollen, denn das Stück, das einem das Künstlerduo Melanie Mohren und Bernhard Herbordt zeigen will, macht sich hier jeder ganz allein. Und doch sind irgendwie alle Mitspieler.
Die junge Mutter mit dem Kinderwagen, die dem Nachwuchs das geschmolzene Eis von den Mundwinkeln wischt, der Anzugträger mit dem Pappkaffeebecher und dem Telefon am Ohr, die drei älteren Herren mit den Zigarren auf der Bank – zum einen oder anderen Zeitpunkt der selbsterdachten Geschichte werden sie alle einmal Protagonist und Antiheld gewesen sein. Hauptrollenträger und Statisten in einem Stück, von dem sie alle wahrscheinlich nie erfahren werden.
„Das Stueck“ von Herbordt/ Mohren ist eine mehrteilig angelegte Untersuchung dessen, was wir unter Theater verstehen oder verstehen wollen. Es geht dabei um das tradierte Bild, die gesellschaftlich sanktionierte Vorstellung der historisch verankerten Institution vom Spiel auf der Bühne. Melanie Mohren und Bernhard Herbordt zerlegen dazu die Theaterschublade in ihre einzelnen Bestandteile und lassen den Zuschauer sich sein eigenes Schauspiel bauen. „Das Stueck (Intervention)“, das jetzt im Rahmen des Wunder der Prärie-Festivals zwei Tage lang auf dem Mannheimer Paradeplatz gastierte, sucht sich seinen Spielplatz im öffentlichen Raum. Versteckt unter Passanten und ihren Wegen durch die Stadt begibt sich der Zuschauer, ausgestattet mit Kopfhörern und der gedruckten „Stückfassung“, auf einen 45-minütigen Tauchgang in den städtischen Alltag.
Reflektieren der eigenen Rolle
Ohne vorgegebene Route und mit offenem Ende führt einen die Collage aus Textpassagen, Gedankenspielen und Geschichtenschnipseln immer tiefer in den Mikrokosmos, der sich unter dem geschäftigen Treiben des Platzes versteckt.
Jetzt sind solche Kopfhörerspielchen schon eine Weile keine Neuigkeit mehr und man hat schon öfter durch Stimmen im Ohr seine Umwelt zur Geschichte umgeformt bekommen. Aber genau das passiert hier eben nicht. Die Freiluftintervention setzt viel mehr auf den introvertierten Voyeurismus des Mitspielers und das Reflektieren seiner persönlichen Rolle im Spiel als darauf, die Passanten zu unwissenden Marionetten werden zu lassen. In fünf strikt getakteten Episoden von 8 Minuten und 31 Sekunden schicken sie einen direkt zu den Wurzeln des Theaters und positionieren den Zuschauer in den Mittelpunkt.
bema