Das Festival "Wunder der Prärie" bringt im September wieder Performance, Tanz und Avantgardekunst nach Mannheim
Alle zwei Jahre gibt es in Mannheim „Wunder der Prärie“. Das internationale Festival zeigt im September aktuelle Performancekunst und andere Projekte an der Schnittstelle von Theater, Tanz und bildender Kunst. Veranstalter des neuntägigen Festivals, das zum neunten Mal stattfindet und diesmal einen Österreich-Schwerpunkt hat, ist das Künstlerhaus Zeitraumexit. Vier Festivalprojekte und sechs Gastspiele sind geplant, dazu Vorträge, Tischgespräche und Filme.
Die erste Irritation liefert das Festivalplakat: In Wohlfühl-Pink getaucht sind dort junge, blendend aussehende Menschen abgebildet, die einen knackigen Salat essen, ihre Fitness trainieren oder am Laptop sitzen und dabei offenbar mächtig viel Spaß haben. Es sind Allerweltswerbebilder, sogenannte Stockfotografie, die sich im Internet herunterladen und für jeden beliebigen Werbezweck einsetzen lässt. In Mannheim und Umgebung werben die Plakate also für Avantgardekunst.
Der pinkfarbene Gute-Laune-Angriff ist natürlich ironisch gemeint, aber das schließt sich dem Betrachter des Plakats nicht ohne weiteres. Nur der Name des Festivals und der Veranstaltungszeitraum sind dort zu finden. Man muss schon ein bisschen über die Sache nachgrübeln, und das ist wohl auch die Absicht der Veranstalter.
Dass sich auch sonst die Wunder der Prärie auf dem Mannheimer Pflaster nicht unmittelbar erschließen, ist sozusagen die Grundeigenschaft dieses Festivals und seiner Beiträge. „Fremd“ lautet diesmal das Motto, dabei soll weniger dem Exotischen andernorts nachgespürt werden, so Gabriele Oßwald, die künstlerische Leiterin des Festivals, sondern „dem Fremden in uns selbst“.
Das ist nicht nur thematisch zu verstehen, wenn wir mit der Situation Demenzkranker, Wachkomapatienten oder Obdachloser konfrontiert werden, sondern auch formal, wenn der Zuschauer etwa zum Mittelpunkt eines interaktiven Performanceraumes wird. „Im Sinne des Philosophen Thomas Macho orientiert sich unser Festivalkonzept an einem Humanismus, der das Anderssein miteinbezieht“, erläutert Gabriele Oßwald.
Auf Theorielastigkeit muss man hier also gefasst sein, auch wenn die einzelnen Projekte dann auch wieder ganz anschaulich werden. Diesmal gibt es nicht bloß abendliche Performance- und Tanzveranstaltungen, sondern auch drei große, durchgehend geöffnete Festivalproduktionen. Die größte kommt von hoelb/hoeb aus Österreich und trägt den Titel „Training. Spielstätten für inklusiven Humanismus“.
In den Räumen der ehemaligen Mannheimer Stadtgalerie in S4 wird eine Art Trainingsparcours eingerichtet, wo man unter anderem ein Intensivpflegebett für Wachkomapatienten und ein Fussballfeld für Blinde kennenlernt. Fachkundiges Personal gibt nähere Auskünfte, und Wissenschaftler diskutieren mit den Besuchern über Body-
Extension, Astrophysik, Inklusion und Klicksonartechnik. Barbara Hölbing und Mario Hoeber wollen einen „Kommunikations- und Erfahrungsraum schaffen, der an allen Festivaltagen geöffnet sein wird.
Ein weiteres Festivalprojekt kommt von Claudia Bosse und dem theatercombinat und heißt „Catastrophic Paradise“. In einer ehemaligen Videothek im gutbürgerlichen Mannheimer Stadtteil Lindenhof wird der Besucher mit vier Tänzern, einem umfangreichen Audio- und Videoarchiv und Fragen zu gesellschaftlichen Katastrophen und Ansichten konfrontiert. Sie interessiere sich für „vernachlässigte Zonen“, verriet Claudia Bosse schon mal bei der Vorstellung des Festivalprogramms. Recherche über viele Jahre hinweg spielt hier eine wichtige Rolle, der Besucher lernt sozusagen den Status quo kennen und wird bei der Tanzperformance ganz konkret mit dem Aushandeln gesellschaftlicher Ordnungssysteme konfrontiert.
Das dritte Projekt findet im Festivalzentrum bei Zeitraumexit im Stadtteil Jungbusch statt. Hanke Wilsmann und Jost von Harleßem, die sich F. Wiesel nennen, haben mit „Zakopane“ eine begehbare Rauminstallation konstruiert, die dem einzeln eintretenden Besucher nicht nur rätselhaft erscheinen mag, sondern auch auf diesen reagiert. Die beiden Künstler, die die Aktion unsichtbar steuern, ließen sich von Stanislaw Lems Zukunftsroman „Solaris“ inspirieren. In diesem Buch wird ein ganzer Planet zur eigenständig regierenden Reproduktionsfläche menschlicher Gedanken und Fantasien.
Erstmals in Deutschland zu sehen ist die Tanzperformance „Sons of Sissy“ des Choreografen Simon Mayer. Es geht um Brauchtumsrituale wie Jodeln, Trachtentanz und Goaßschnalzn und natürlich kommt das Ganze aus Österreich. Einen Tänzer im Rollstuhl kann man bei Doris Uhlich und Michael Turinskys „Ravemachine“ erleben, das Verhältnis von Gott und Geld untersucht Otmar Wagner in seiner Performance „Zaster & Zombies“. Der Tänzer Juan Gabriel Harcha aus Chile beschäftigt sich mit Angela Loij, der letzten Überlebenden des Selk’nam Stammes auf dem Archipel Tierra de Fuego. An verschiedenen Orten, auch auf der Straße finden an den Festivaltagen „Tischgespräche“ statt, bei denen Experten mit Besuchern und Passanten über Festivalthemen und anderes sprechen. Hier kann jeder zuhören und mitdiskutieren.
Dietrich Wappler