Wunder der Prärie: Verena Billinger und Sebastian Schulz zeigen "First Life. Ein Melodram"
Ein junges, hübsches Pärchen betritt nackt die Bühne. Auf ihr verteilt liegen Kleidungsstücke, ein paar Blatt Papier und zwei umgelegte Mikrofonständer. An diese treten sie mit heiligem Ernst, nachdem sie sich beide langsam angezogen haben. Sind sie auch im „richtigen Leben“ ein Paar? Nach der von vielen „Usern“ genutzten Möglichkeit, sich im Cyberspace des Internets eine zweite, virtuelle Identität aufzubauen, heißt das richtige Leben neudeutsch „First Life“. Das muss man wissen, wenn man die Performance von Verena Billinger und Sebastian Schulz besucht, die sie „First Life. Ein Melodram“ nennen.
Die erste Frage, die man den beiden Künstlern für gewöhnlich nach Auftritten stellt, ist die nach der privaten Zusammengehörigkeit. Das ist interessant – und motivierte die beiden Düsseldorfer Absolventen der Gießener Angewandten Theaterwissenschaft zu einer doppelbödigen Performance zwischen Tanz und Lecture, mit der sie jetzt im Rahmen des Festivals Wunder der Prärie auch nach Mannheim zu Zeitraumexit kamen. Der Zuschauer denkt Duo-Protagonisten auf der Bühne immer zusammen, aus ihrer Interaktion resultiert also auch eine gefühlte, gedachte, angestrebte, angezweifelte Zusammengehörigkeit der Darsteller in Sachen Emotion, Erotik, Privatheit und Verantwortung. Und Billinger/ Schulz geben dem Affen staubtrockenen Zucker.
Sachlich, stocksteif, betont geradlinig und modulationsarm sprechen sie die Vermutungen der Zuschauer abwechselnd aus, lesen vom Blatt, werden biografisch. Erstes Treffen, Studentenalltag, erster Sex, erste Probleme, Trennungen, Wiederaufnahmeversuche . . . Zwischen den Dopplungen und Redundanzen erfahren wir auch Neues – und Divergierendes.
Vergnügliche Fallenstellerei
Das Vergnügen an dieser auf den ersten Blick nicht eben heiteren Aktion besteht aus der eigenen Bereitschaft, in die akribisch ausgelegten Fallen zu tappen. Selbst als die beiden offenherziger und emotionaler werden, glauben wir ihnen auch die finale „wahre“ Beziehungsgeschichte nicht mehr. Was wir aber sahen und hörten, ist eine tief berührende, melancholische Studie über Liebe, Beziehung und deren Anfälligkeit für Vergänglichkeit. Wenn die beiden dann wieder nackt die dramaturgische Klammer schließen, um einzeln abzugehen, spielt es keine Rolle mehr, ob sie zusammen sind oder waren. Die Möglichkeit einer Liebe ist bei aller Melancholie eine frohe Botschaft.
Von Ralf-Carl Langhals