Wunder der Prärie: Festival endet mit zweierlei Tanz
Was das Schicksal eines Feuerlandindianerstammes mit Beethovens "Ode an die Freude" zu tun hat, mag man mit Recht fragen. Zumindest zum Abschluss des Performancekunstfestivals Wunder der Prärie kam beides in getrennten Tanzauftritten an einem Abend zusammen. Der Chilene Juan Gabriel Harcha widmete sein Solo "Angela Loij" namentlich der letzten überlebenden Ureinwohnerin der Selk'nam in Feuerland. Das klingt exotisch und bliebe es auch für kundige Ethnologen mit Südamerikaschwerpunkt, denn Harcha ist weit davon entfernt, eine tänzerische Kolonialisierungsgeschichte zu erzählen.
Einzig die weiß-schwarze Ganzkörperbemalung und der später umgeschnallte Schweif eines Saurier-skeletts geben Hinweise auf uns fremde Zivilisationsrudimente. Seine Körpersprache lässt entgegen der programmatischen Behauptung keine Bezüge zu Stammes- oder Initiationsriten zu, vielmehr kokettiert er minimalistisch mit der Tatsache des eigenen Auftritts. Er ist da, noch da, spontan räkelt er sich, rutscht, trabt und spiegelt die Erwartungshaltung eines überwiegend irritierten Publikums, das die Geschichte einer Ausrottung, eines Verschwindens zu sehen glaubt. Impulse für sein szenisches Treiben holt er sich aus dem Publikum selbst, spielt Erklärungsnot und Ratlosigkeit gestisch und körperlich aus. Das ist schräg, wenn nicht auch ein wenig irre und bei allem Befremden doch von einem körpersprachlichen Bewegungsmaterial geprägt, das höchst außergewöhnlich ist.
Romantischer Nachschlag
Wesentlich konventioneller, geradezu hochromantisch ist im Anschluss der Auftritt der spanischen Performerin Glòria Ros, die ihre Choreographie "Joy" mit der Französin Emilie Birraux erarbeitete. Trotz der Einspielung einer (für hiesige Ohren miserablen) Aufnahme der 9. Sinfonie Beethovens scheint Ros wenig Anlass zur Freude zu haben. Der berühmten wie wuchtigen Ode des deutschen Überwältigungsdoppels Schiller/Beethoven setzt sie im klassischen Chorsänger-Kostüm (schwarze Hose, weiße Bluse) ruhiges Vor- und Zurückgehen entgegen, trinkt nachdenklich ein Glas Milch, entwickelt beim ruhigeren Umschlingen der Millionen eher aggressive Abwehrbewegungen, schlägt sich mit den Händen Freiräume in die Luft, fasst sich nachdenklich an die Schläfen oder pathetisch an die Brust. Mit einem sanften Jazz-Stück von Jack DeJohnette löst sich ihr Auftritt im Trockeneisnebel auf, zurück bleiben eine Bluse, eine Hose und ein Glas Milch - und leider nur wenig mehr.
Ralf-Carl Langhalf