Runter mit den Lederhosen

Rhein-Neckar-Zeitung
09/24/2015

Simon Mayers Musik- und Tanzperformance "Sons of Sissy" in der Mannheimer Feuerwache

Wenn einer von einer österreichischen Alm kommt, sowohl beim Wiener Staatsopernballett wie auch bei Anne Teresa de Keersmaeker und Wim Vandekeybus getanzt und auch noch eine experimentelle Volksmusik-Combo gegründet hat – dann darf man auf seine choreografischen Arbeiten gespannt sein.

Simon Mayer hat sich mit seiner Performance „Monkeymind“ ins Herz des Mannheimer Publikums getanzt – bei der aktuellen Neuauflage des Festivals „Wunder der Prärie“ sind die Veranstalter (zeitraumexit) als Mitproduzenten eingestiegen. Eine goldrichtige Entscheidung: „Sons of Sissy“ ist selbst ein kleines Theaterwunder der außergewöhnlichen Art.

Die Akteure – drei ausgebildete Tänzer und ein Musiker – sind veritable Doppelbegabungen in Musik und Tanz. Alles fängt ganz harmlos an, im vertrauten Alpensound von zwei Violinen, Bass und Knopfakkordeon. Die Vier – zwei Bärtige, zwei feminine Typen – schrammeln und jodeln, was das Zeug hält, bis plötzlich die heile musikalische Welt der alpenländischen Volksmusik den ersten Riss bekommt.

Das Ohr am Puls der Zeit
Und dann geht es 75 Minuten lang Schlag auf Schlag: Die Musiker werden zu Tänzern, und im Vorzeigen, Übertreiben, Verdrehen, Beschleunigen, Zerstückeln und neu Zusammensetzen eines vertrauten Bewegungsvokabulars entsteht so etwas wie eine liebevolle Kriegserklärung ans jahrhundertealte Brauchtum. Dass Volkstanz konservative, nationale und autoritäre Züge trägt – die Erkenntnis ist nicht neu. Aber Simon Mayer gelingt es zugleich aufzuzeigen, welches Potential an Intimität einerseits Ekstase andererseits ins Ländler und Schuhplattler verborgen liegt.
Dazu werden traditionelle Kostüme mit nackter Haut getauscht, Männer- und Frauenrollen ins Gegenteil verkehrt und musikalische und tänzerische Exzesse bis zur Erschöpfung durchgespielt. Denn vorgeführt wird hier gar nichts – bei der authentischen und respektvollen Auseinandersetzung mit der Tradition tragen die vier Darsteller buchstäblich ihre eigene Haut zu Markte.

„Sons of Sissy“ hat das Zeug zum Kultstück und ist zugleich ein Beleg dafür, wie gut die Festival-Organisatoren der Mannheimer Galerie Zeitraumexit (Gabriele Oßwald, Wolfgang Sautermeister und Thilo Schwarz) ihr Ohr am Puls der zeitgenössischen Performancekunst haben.

Isabelle von Neumann-Cosel